Mythen über Sexualgewalt

Mythos:
Vergewaltigung innerhalb der Ehe oder einer Beziehung ist unmöglich.

Realität:

Im Falle einer Penetration, für die es keine Einwilligung gab, handelt es sich um Vergewaltigung, auch in der Ehe oder in einer Beziehung.  Eine Person hat immer und überall das Recht, sein Einverständnis mit Geschlechtsverkehr zu verweigern.

Mythos:
Das Opfer hatte Alkohol getrunken oder Drogen genommen und hat nicht "Nein" gesagt. Also war es gar keine Vergewaltigung.

Realität:

Die Tatsache, dass das Opfer unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen stand, spielt überhaupt keine Rolle. Die Tatsache, dass der Täter nicht die Einwilligung des Opfers hatte, reicht für den Tatbestand der Vergewaltigung.  Sexuelle Handlungen, die stattfinden, während das Opfer bewusstlos oder kaum bei Bewusstsein war, sind strafbar. 

Mythos:
Das Opfer ist für seinen lockeren Lebenswandel bekannt, es hat geflirtet, trug provozierende Kleidung, kurzum: Sie/er hat es “herausgefordert”

Realität:

Es gibt keine angebliche Provokation von sexueller Gewalt. Niemand hat es "herausgefordert", vergewaltigt zu werden. Vergewaltiger wählen ihre Opfer übrigens nicht nach dem Äußeren, sie suchen sich jemanden aus, der verletzlich ist.
Sie dürfen sich als Frau provokant kleiden und Sie dürfen auch flirten. Ein gesunder Mann kann dadurch höchstens erregt sein, wird Sie aber nicht vergewaltigen. Vergewaltigung hat nichts mit Leidenschaft zu tun (siehe auch vorletzter Mythos), und nur der Täter ist schuld. 

Mythos:
Vergewaltiger handeln aus sexuellem Frust.

Realität:

Es gibt einen Mythos, demzufolge Vergewaltiger sexuell frustrierte Menschen seien, die nicht mehr in der Lage sind, ihren unbändigen Sextrieb zu kontrollieren. Dies ist jedoch selten oder nie der Fall. Sex kann durchaus die Triebfeder des Vergewaltigers sein, doch sexueller Frust ist nicht der einzige oder hauptsächliche Grund. Eine große Anzahl von Vergewaltigungen geschehen aus Wut, und die sexuelle Gewalt ist hier Ausdruck/Instrument der Wut, eine impulsive Tat, bei der der Vergewaltiger die Grenzen des Opfers weit überschreitet, obwohl dies nicht aus Frust oder Sexmangel geschieht.

Mythos:
Vergewaltigungen kommen nicht häufig vor.

Realität:

Leider passieren sexuelle Gewalttaten sehr häufig und dies in allen Bevölkerungsgruppen. Die Chancen, dass jemand aus Ihrer Familie oder Freundeskreis bereits Opfer einer sexuelle Gewalttat wurde, sind sehr hoch.

Die offiziellen Vergewaltigungsstatistiken unseres Landes sind extrem hoch. 2014 befanden sich in der Polizeistatistik 3062 Anzeigen wegen Vergewaltigung und 180 Anzeigen wegen Massenvergewaltigung.  Dies bedeutet, dass wöchentlich 3 Anzeigen wegen Massenvergewaltigung in unserem Land erstattet werden sowie täglich 8 Anzeigen wegen Vergewaltigung und 10 wegen sexueller Übergriffe (3.567 Fälle in 2014). Die Dunkelziffer ist weitaus überraschender: Mehr als 90% der Übergriffe und der Vergewaltigungen werden nicht zur Anzeige gebracht und finden folglich auch keinen Eingang in die Polizeistatik.

Mythos:
Eine Vergewaltigung kann verhindert werden, wenn man gewisse Orte meidet und seinen gesunden Menschenverstand einschaltet.

Realität:

Die Betroffenen werden nicht vergewaltigt oder angegriffen, weil sie keinen "gesunden Menschenverstand" hatten. So lautet aber ein verbreiteter Mythos, den man ab und zu hört. Dennoch ist er völlig absurd. Diese Personen wurden vergewaltigt oder angegriffen, weil sie das Pech hatten, auf einen Vergewaltiger oder Angreifer zu fallen. Es ist deshalb wichtig, mit diesem Mythos aufzuräumen, da er eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit mit sich bringen kann. Es stimmt zum Beispiel nicht, dass man einen sexuellen Übergriff provoziert, wenn man spät abends noch unterwegs ist. Die Verantwortung der Tat liegt immer beim Täter und nie beim Opfer.

Mythos:
Vergewaltiger sind schreckliche und sonderbare Gestalten, die urplötzlich über Sie her fallen.

Realität:

Bei sexuellem Missbrauch an Erwachsenen kennt jeder dritte Täter seine Opfer. Gleiches gilt für 62% der männlichen Opfer. Bei den weiblichen Opfern ist in 48% der Fälle der eigene Partner der Täter, in 10% der Fälle handelt es sich um ein Familienmitglied, in 13% um eine(n) Bekannte(n) und in 7% der Fälle ist es eine Person aus dem beruflichen Umfeld des Opfers.   Im Falle sexueller Gewalt an Minderjährigen ist der Täter in den meisten Fällen ein männliches Mitglied der Familie oder ein Bekannter. Nur in 15% der Fälle sexuellen Missbrauchs gegenüber Minderjährigen handelt es sich um Unbekannte.

Mythos:
Männer können nicht vergewaltigt werden.

Realität:

Auch ein Mann oder ein Junge kann vergewaltigt werden. Die Regeln sind die gleichen wie bei den Frauen: Kam es zu einer erzwungenen Penetration, liegt der Tatbestand einer Vergewaltigung vor. Auch ein Mann/Junge kann -  genau wie eine Frau - Opfer eines sexuellen Übergriffs werden.

Mythos:
Nur eine "gewisse Kategorie" von Frauen wird vergewaltigt. Mir wird das niemals passieren.

Realität:

Vergewaltiger wählen ihre Opfer nicht auf der Grundlage ihres Äußeren, ihrer Kleidung, ihres Alters oder ihres sozialen Stands. Ein Vergewaltiger sucht sich eine Person aus, von der er glaubt, dass er sie missbrauchen kann. 

Mythos:
Eine Vergewaltigung hat keine permanenten Folgeschäden.

Realität:

In zwei Drittel der Fälle hat die sexuelle Gewalttat permanente Auswirkungen auf die (geistige) Gesundheit der Opfer. Die Experten stufen die Folgen einer Vergewaltigung als posttraumatischen Stress ein, genauso wie bei Kriegszeugen. Eine solche Störung kann unmittelbar nach der Vergewaltigung auftreten, kann aber auch erst Jahre nach der Tat ausbrechen.  Dies ist häufig der Fall bei Personen, die während ihrer Jugendzeit Opfer sexuelle Gewalttaten wurden. Die Symptome sind häufig sehr unterschiedlich: Reizbarkeit, Wutausbrüche, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, übermäßige Vorsicht, heftige Angstreaktionen, körperliche und psychische Reaktionen unter vergleichbaren Umständen, Nacherleben der Ereignisse, Dissoziation, Albträume, Vermeidung bestimmter Situationen oder Aktivitäten, Amnesie, Probleme beim Äußern von Gefühlen, Abneigung, Drogen- oder Alkoholsucht usw.

Mythos:
Wenn es keine Gewalt gegeben hat oder wenn das Opfer sich nicht gewehrt hat, dann kann von Vergewaltigung keine Rede sein.

Realität:

Eine Vergewaltigung oder eine Nötigung sind sehr angsterregende Gewalthandlungen. Es ist unmöglich, im Voraus zu wissen, wie man als Betroffene(r) in diesem Moment reagiert. Es gibt demnach keine "richtige" oder "falsche" Reaktion. Meistens wehren sich die Opfer nicht, um die gegen sie verübte Gewalt maximal einzuschränken. Während der Gewalthandlung kann das Opfer so große Angst haben, dass der Körper regelrecht erstarrt. Sich wehren oder "Nein" sagen wird in solch einem Fall unmöglich. Dies heißt im Fachjargon tonic immobility (tonische Immobilität) oder auch Schockstarre. Es handelt sich hierbei um eine natürliche und unfreiwillige Körperreaktion, hervorgerufen durch extremen Stress. Dies bedeutet aber nicht, dass der Täter unschuldig ist. So lange eine Person nicht unmissverständlich ihre Einwilligung mit dem Geschlechtsakt gegeben hat, handelt es sich um Vergewaltigung.

Mythos:
Das Opfer war sexuell erregt oder hatte während der Vergewaltigung einen Orgasmus, das heißt also, es hat Lust verspürt.

Realität:

Manche Opfer haben während einer sexuellen Gewalttat eine Erektion oder kommen zum Orgasmus, dies kann verstörend sein und den Eindruck erwecken, es sei eine angenehme Erfahrung gewesen. Die meisten Menschen wissen nicht, dass es während extremsten Stresssituationen zu Erektion/Orgasmus kommen kann. Es handelt sich in diesem Fall also nicht um sexuelle Erregung.

 

Bei Mädchen und Frauen wird die Scheide während des Geschlechtsverkehrs feucht, dies kann auch im Falle einer Vergewaltigung passieren. Es handelt sich dabei um eine natürliche Reaktion, die die Scheide vor Verletzungen schützen soll; sie kann auch auftreten, wenn es sich um ungewollten Verkehr handelt. Dass die Scheide des Opfers feucht wird, bedeutet hingegen in keinem Fall, dass es zustimmt oder gar Lust verspürt. 

Mythos:
Nur junge, hübsche Mädchen werden vergewaltigt.

Realität:

Frauen jeden Alters können Vergewaltigungsopfer werden. Viele Frauen sind der Meinung, sie würden niemals vergewaltigt, da sie nicht einer bestimmten Kategorie von Frauen angehören.  Die Zahlen widerlegen diese Mutmaßung. In der Statistik werden Frauen und Mädchen jeden Alters, jeder Gesellschaftsschicht, jedes Kulturkreises und jeder Rasse angeführt. Dass das Opfer hübsch ist, tut hierbei nichts zur Sache. Für den Täter ist nicht das Aussehen ausschlaggebend. Er oder sie sucht nach einem Opfer, das verwundbar zu sein scheint.

Mythos:
Prostituierte können nicht vergewaltigt werden.

Realität:

Prostituierte können sehr wohl vergewaltigt werden. Nicht nur von ihren Zuhältern, sondern auch von ihren Kunden.  Die Tatsache, dass der Kunde für den Geschlechtsakt bezahlt, bedeutet nicht, dass er alles tun darf. Wenn eine Prostituierte zu ungewolltem Sex gezwungen wird, wird auch dies als Vergewaltigung oder Gewalttat eingestuft.

Mythos:
Vergewaltigung ist ein Verbrechen aus Leidenschaft.

Realität:

Eine Vergewaltigung ist eine Gewalttat, die nichts mit Leidenschaft oder Liebe zu tun hat. Die Mehrheit der Vergewaltigungen passiert nicht spontan, sondern entsteht allmählich in den Köpfen der Täter. Hier kann also nicht die Rede von unkontrollierter Leidenschaft sein. Die Täter könnten ihre sexuellen Impulse leicht unter Kontrolle halten.

Mythos:
Vergewaltiger sind "zwielichtige Typen".

Realität:

Ein Vergewaltiger ist nicht zwangsläufig zwielichtig. Er kann Arzt, Polizist, Rechtsanwalt oder der nette Nachbar von nebenan sein! Man kann einen Vergewaltiger nicht an seinem Äußeren erkennen. Es kann sich um einen nach Außen hin ganz normalen Menschen handeln.  Zahlreiche Vergewaltiger sind jung, verheiratet und haben Kinder.

Mythos:
Das Opfer täte gut daran, sich nicht ständig wegen der Vergewaltigung zu grämen. Es sollte lieber vergessen.

Realität:

Solche „Ratschläge“ sind generell gut gemeint, sind aber in der Praxis unmöglich umzusetzen. Jedes Opfer sollte mit der Familie, mit Freunden und mit professionellen Fachkräften über das Geschehene reden dürfen. Opfer, die mit niemanden darüber reden können, haben größere Schwierigkeiten, mit dem Trauma fertig zu werden. Das Trauma kann nach mehreren Jahren wieder hochkommen, auch wenn es nicht immer einen eindeutigen Bezug zur Vergewaltigungstat gibt. Es ist wichtig, das Opfer weiterhin zu unterstützen.

Mythos:
Frauen haben Vergewaltigungsfantasien.

Realität:

Manche Frauen können sexuelle Fantasien hegen, in denen Aggression oder Erniedrigung vorkommen, aber in solchen Situationen kann die vorgegebene Gewalt jederzeit unterbrochen werden. Im Falle einer Vergewaltigung hat das Opfer überhaupt keine Kontrolle über die Situation.Frauen haben Vergewaltigungsfantasien

Mythos:
Wenn die Opfer sich während einer Vergewaltigung entspannten, hätten sie etwas davon. Denn insgeheim oder unbewusst stehen die Opfer doch auf Vergewaltigung.

Realität:

Kein Mann und keine Frau, kein Junge und auch kein Mädchen "steht" auf Vergewaltigung! Es handelt sich hierbei um einen Akt brutalster, sowohl physischer als auch psychischer Gewalt.  Vergewaltigung ist kein Synonym für gewollten Sex, sie findet unter Drohung, Gewaltanwendung oder Manipulation statt.